Page 25 - Alsterrundschau Sylt-Special Winter 2016
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Alster Rundschau · Sylt Special   MEER. LEIDENSCHAFT. LEBEN.                                                  Seite 25


           Hexen und Zwerge, Meerjungfrauen und  Sylter Jungfrau unter sich begraben. Tatsächlich
           verborgene Schätze: Eine Insel, auf der  stürzte die schwere Glocke am zweiten Weih-
           sich einst Seeräuber versteckten, ist wie  nachtstag des Jahres 1739 hinab und erschlug
           geschaffen für alte Sagen. Und so sind  einen jungen Seemann. Sylter Mädchen machen
           viele Sylter Orte untrennbar mit wunderli-   seitdem einen Bogen um die Kirche.
           chen Begebenheiten verbunden, von
           denen sich die Menschen früher des Win-        Die bekannteste Sage aber rankt sich um den
           ters am wärmenden Ofen zu erzählen  Freiheitskämpfer Pidder Lüng, von dem der Satz
           wussten.                                     stammt: „Lewwer duad üs Slaaw!“ (Lieber tot als
                                                        Sklave!). Eines Abends bekam er während des
                                                                                                    Alles rund um
                 ergessen Sie den Brocken. Wenn Sie He-  Essens Besuch von einem dänischen Steuerein-  einen sagenhaften
                                                                                                    Urlaub auf www.sylt.de
                 xen tanzen sehen wollen, dann ist der  treiber. Der wollte nicht nur Geld, sondern die
           V Budersandberg die erste Adresse. Denn  Familie auch noch demütigen. Als er in den Topf
           Hörnums höchste Düne, so erzählt eine Sage, ist  mit frischem Grünkohl spuckte, wurde es Pidder
           ein beliebter Landeplatz für einheimische Hexen:  Lüng zu bunt: Mit den Worten „Wer in den Kohl
           Schon in früheren Zeiten kamen sie in Mond-  spuckt, der soll ihn auch fressen!" drückte er das
           scheinnächten auf ihren Besen angeflogen und  Gesicht des Steuereintreibers so lange in den
           forderten die Seeräuber der Insel zum Tänzchen  dampfenden Kohl, bis sich der Zappelnde nicht
           auf. Das hörten die Amrumer und Föhrer Hexen,  mehr rührte. Pidder Lüng musste fliehen, wurde
           die prompt ihre Besen bestiegen und die Seeräu-  Seeräuber und nahm kein gutes Ende: Er wurde
           ber verzauberten, um ihrerseits eine flotte Sohle  auf dem Galgenhügel bei Munkmarsch hinge-
           auf den Dünensand zu legen. Doch von dieser  richtet.
           Entwicklung waren die Sylter Damen nicht ge-
           rade angetan. Sie sorgten dafür, dass 74 der un-  Zahlreiche Führungen, ob nun zum Morsum
           treuen Piraten auf dem Grasbrook in Hamburg  Kliff oder zum Denghoog, dem größten be-
           geköpft wurden. Und die Moral von der Ge-    gehbaren Steinzeitgrab in Schleswig-Holstein,
           schicht’: Schau genau hin, mit welcher Hexe du  nehmen zumindest am Rande immer wieder
           tanzt.                                       Bezug auf die uralten Geschichten. Damals
                                                        machten viele einen großen Bogen um die Hü-
              Sylt, das zeigt sich bereits mit dieser Geschich-  gelgräber der Insel. Zu hunderten prägen sie
           te, bietet ein Umfeld, das wie geschaffen ist für  die Landschaft der Insel, aber ihre Entstehung
           Sagen. Die Mächte der Natur, die die Insel bis  war noch bis ins 19. Jahrhundert hinein für die
           heute prägen, steckten für die Menschen einst  Sylter ein Rätsel. Einer Sage zufolge liegt im
           voller Geheimnisse. Sagen lieferten Erklärungen  Gurt Brönshoog der Riesen-König Bröns mit-
           für viele Phänomene und warnten die Einwohner  samt seinem goldenen Streitwagen begraben.
           sogar vor heraufziehenden Unwettern. Wo immer  Gleich daneben im Litj Brönshoog ruht sein
           man sich auf Sylt aufhält – irgendeine alte Er-  Sohn, im Teewelkenhoog wurde sein Leibarzt
           zählung gibt es immer: über Götter und Geister,  von den Zwergen lebendig begraben und sogar
           Hexen und Zauberer, Seeräuber und Meerweib-  Bröns’ Hund bekam einen eigenen Grabhügel,
           chen. Am Morsum Kliff etwa finden sich rote  den kleinen Hünshoog. Heute ist die Hügel-
           Gesteinsbrocken von wenigen Zentimetern Kan-  gruppe am Fuße des Kampener Leuchtturms,
           tenlänge, die wie Gefäße aussehen. Sie werden  ebenso wie der Gallighoog (Galgenhügel) in
           im Volksmund „Hexenschüsselchen“ genannt.  der Jückersmarsch, Teil der „hünen.kulTour“.
           Und obwohl man heute natürlich weiß, dass sie  Das vom Sylter Heimatverein Söl’ring Fori-
           nicht von Hexen getöpfert wurden, sondern im  ining initiierte Projekt führt auf drei verschie-
           Laufe der Jahrmillionen durch Gesteinsverkrus-  denen Touren zu den Hünengräbern in Kampen
           tungen entstanden sind, sind sie noch immer  und Wenningstedt, zu denen in Tinnum, Keit-
           beliebte Sammlerstücke.                      um und Munkmarsch sowie in Archsum und
                                                        Morsum. Informationstafeln vor Ort geben
              Vor den Steinen, aus denen die Keitumer Kir-  Erklärungen zu den oftmals eigenwilligen Na-
           che gebaut wurde, nehmen sich dagegen viele in  men der alten Ruhestätten und deren Entste-
           Acht. Beim Bau der Kirche, so heißt es, sei eine  hung. Die Tourenkarte gibt es bei allen Tou-
           Prophezeiung ausgesprochen worden: Die Glo-  rismusservices und Kurverwaltungen, im Er-
           cke werde eines Tages herabstürzen und einen  lebniszentrum Naturgewalten List, im Natur-
           jungen Mann töten. Später werde gar die ganze  schutzzentrum Braderup und natürlich bei der
           Kirche in sich zusammenfallen und die schönste  Sylt Marketing.
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