Page 29 - Alsterrundschau November 2022
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Alster Rundschau                               nachhaltigKeit                                                 Seite 29

                  ZSW reaktiviert Grafit und alle kritischen Metalle aus gebrauchten Lithiumionenbatterien
                             Rohstoffe aus alten Akkus aufbereiten


             Ein flächendeckendes Recycling von Lithium-
           Ionen-Batterien, vor allem aus Elektroautos, wird
           zukünftig nachhaltig die Versorgung mit kritischen
           Rohstoffen sicherstellen. Heutige Recyclingverfah-
           ren gewinnen nur einige Metalle zurück, Lithium geht
           dabei teilweise verloren, Grafit sogar vollständig. Ein
           neues Verfahren könnte dies nun ändern: Im Projekt
           RecycleMat hat das Zentrum für Sonnenenergie- und
           Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW)
           einen Recyclingprozess entwickelt, durch den Ak-
           tivmaterialien aus gebrauchten Lithiumionenbatte-
           rien wiederaufbereitet und direkt in neuen Batterien
           eingesetzt werden können. Dies geschieht in relativ
           einfachen chemischen Prozessen. Die mit dem neu-
           en Verfahren reaktivierten Materialpulver erreichen
           95 Prozent ihrer Ausgangskapazität. Dies gilt sowohl
           für die Metalloxide im Pluspol der Batterien als auch
           überraschenderweise für den Grafit des Minuspols.
           Die Forschenden haben aus solchem Recyclingma-
           terial bereits neue Batteriezellen hergestellt und elek-
           trochemisch vermessen.                  Mit den reaktivierten Anoden- und Kathodenmaterialien hat das RecycleMat-Team des ZSW Pouchzellen gebaut
             Im Entwicklungsprojekt „Kathoden- und Anoden-  und eine LED-Lichterkette betrieben                         Foto: ZSW/M. Duckek
           materialien aus recycelten Lithium-Ionen-Batterien   Recycling von Kathoden- und Anodenmassen  Vordergrund. Diese Diskussion ist einerseits getrieben
           (RecycleMat)“, das vom baden-württembergischen   Im Rahmen des Projekts mussten insbesondere   durch gesetzliche Rahmenbedingungen, die abhängig
           Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus seit   für das Recycling des Grafits aus dem Minuspol der   von der jeweiligen Region oder dem Land, eine Re-
           August 2020 mit 870 000 Euro finanziert wurde, hat   Batterie neue Ansätze und Verfahren entwickelt wer-  cyclingquote von bis zu 80 Prozent bei der Verschrot-
           das ZSW ein ressourcenschonendes Verfahren ent-  den, da Grafit heute typischerweise nicht recycliert,   tung von Elektro-Pkw fordern. Andererseits sind es
           wickelt, um die Aktivmaterialien von Kathode, dem   sondern meistens einfach verbrannt wird. Die Lösung   Berechnungen, nach denen große Mengen an recy-
           Plus-Pol der Batterie, und Anode, dem Minus-Pol, aus   des Problems war eine komplexe Temperaturbehand-  celten Metallen notwendig sein werden, um zukünf-
           gebrauchten oder defekten Batterieelektroden mecha-  lung, die sowohl die Oberfläche der Partikel von   tig überhaupt ausreichend Batterien für Elektrofahr-
           nisch zu trennen, zu reinigen und über eine Wärmebe-  Verunreinigungen befreit als auch die kristalline Ma-  zeuge bauen zu können.
           handlung zu neuwertigen Pulvern aufzubereiten.  terialstruktur wiederherstellt. Das derart nachbehan-  Obwohl Lithiumionenbatterien keine Edelmetal-
             „Das neue Recyclingverfahren ermöglicht es,   delte Grafitpulver verfügt über 95 Prozent des spezi-  le enthalten, sind die eingesetzten Materialien viel zu
           ausrangierte Batterieelektroden mit einer Kathoden-  fischen Energieinhalts des Ausgangsmaterials und   wertvoll, um nicht wiederverwertet zu werden: Es
           struktur aus den heute gängigen Lithium-Nickel-  kann direkt wieder in neuen Batterien verbaut werden.  sind die großen Mengen an Metallen wie Kupfer,
           Mangan-Kobalt-Oxiden und einer Anode aus Graphit   Die Materialien mit dem höchsten Wertanteil in   Nickel Kobalt, Aluminium und das Lithium, die das
           zu reaktivieren und dann direkt in neuen Zellen ein-  der Batterie sind die Kathodenmassen im Pluspol der   Batterierecycling bereits aufgrund ihre Metallwerte
           zusetzen“, erklärt Dr. Marilena Mancini, wissen-  Batterie, da sie unter anderem teure Metalle wie Ni-  wirtschaftlich und lukrativ machen: So enthält eine
           schaftliche Leiterin des Projekts. „Im Gegensatz zu   ckel, Mangan, Kobalt (NMC) und Lithium enthalten.   Tonne nickelhaltiges Gestein aus einer Nickelmine
           herkömmlichen Verfahren werden die Aktivmateri-  Aktuelle Recyclingprozesse konzentrieren sich des-  nur rund 20 Kilogramm Nickel.
           alien bei dem neuen Prozess als solche erhalten und   halb auf diese Kathodenmaterialien, indem diese im   In einer Batterie, wie sie etwa für einen Mittelklas-
           nach Wiederherstellung der ursprünglichen Funktio-  Verlauf des Prozesses komplett in Säure aufgelöst   sewagen gebraucht wird, sind jedoch bereits 60 Ki-
           nalität direkt in neuen Batterien wiederverwendet.   werden und dann Schritt für Schritt wieder in Batte-  logramm Nickel enthalten. Bei einem Batteriegewicht
           Dieser Ansatz vermeidet das heute übliche und ener-  rierohstoffe umgewandelt werden. Diese Recycling-  von 500 Kilogramm entspricht dies einer fünffachen
           gieintensive Auflösen und Wiedergewinnen der me-  verfahren verbrauchen jedoch viel Energie und er-  Anreicherung dieses Metalls im Vergleich zur Mine.
           tallischen Komponenten beim gleichzeitigen Verlust   fordern idealerweise die Nähe zu einem Chemie-  Bei Lithium ist dieser Faktor noch viel höher: Sechs
           des Grafits.“                           standort.                              Kilogramm Lithium in einer Batterie ersparen beim
             „Das Recycling von Batterien ist nicht nur wün-  Das ZSW-Verfahren für das Recycling von Ka-  erfolgreichen Recycling das Aufarbeiten mehrerer
           schenswert, sondern absolut notwendig. Der Über-  thodenmaterialien entspricht im Wesentlichen dem   tausend Kubikmeter an lithiumhaltiger Salzlösung.
           gang in eine klimaneutrale Wirtschaft erfordert einen   des Graphits und vermeidet somit eben diese energie-
           umfassenden Ausbau der Kreislaufwirtschaft – ge-  intensiven chemischen Schritte. Nach nur zwei rela-  Über das ZSW
           rade auch bei Batterien, die verschiedene kritische   tiv einfachen Prozessschritten können die Kathoden-  Das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-
           Rohstoffe enthalten. Mit hochwertigem Recycling   materialien direkt wieder in neuen Batterien eingesetzt   Forschung Baden-Württemberg (ZSW) gehört zu den
           helfen wir aber nicht nur der Umwelt, sondern ver-  werden und zeigen ebenfalls deutlich mehr als 90%   führenden Instituten für angewandte Forschung auf
           ringern auch perspektivisch die Abhängigkeit von   ihrer ursprünglichen Kapazität.  den Gebieten Photovoltaik, regenerative Kraftstoffe,
           Rohstoffimporten. Mit Blick auf die aktuellen Her-                             Batterietechnik und Brennstoffzellen sowie Energie-
           ausforderungen durch gestörte Lieferketten erhöhen   Metalle rückgewinnen rechnet sich  systemanalyse. An den drei ZSW-Standorten Stuttgart,
           wir damit die Resilienz und die Wettbewerbsfähigkeit   In den letzten zehn Jahren lag der Schwerpunkt   Ulm und Widderstall sind derzeit rund 300 Wissen-
           des Standorts Baden-Württembergs. Die Forschungs-  der wissenschaftlichen und industriellen Entwicklung   schaftler, Ingenieure und Techniker beschäftigt. Hin-
           ergebnisse des ZSW leisten einen wichtigen Beitrag,   bei Lithium-Ionen-Batterien auf einer Erhöhung der   zu kommen 100 wissenschaftliche und studentische
           um diese ambitionierten Ziele zu erreichen, und zei-  Energiedichte bei gleichzeitiger Senkung der Kosten.   Hilfskräfte. Das ZSW ist Mitglied der Innovationsal-
           gen auf, wie Recycling effizient und ressourcenscho-  Mit zunehmendem Erfolg der Elektromobilität und   lianz Baden-Württemberg (innBW), einem Zusam-
           nend machbar ist“, sagt Wirtschaftsministerin Dr.   der Massenproduktion der Batterien rückt nun auch   menschluss von 12 außeruniversitären, wirtschafts-
           Nicole Hoffmeister-Kraut.               die End-of-Life-Diskussion - das Recycling - in den   nahen Forschungsinstituten.
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