Page 9 - Alsterrundschau Februrar 2020
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Alster Rundschau                              KULTURELLES                                                      Seite 9

                                                         Im Schatten von Venus
                               Lisa Reihana & Kunst aus dem Pazifik


             Lisa Reihana ist eine der bedeutendsten zeit-  turellen Missverständnissen nachspüren lassen. Es   Kontext prägte die Zusammensetzung dieser Samm-
           genössischen Künstlerinnen aus dem pazifischen   sind diese Motive, die Querverbindungen zu den   lungen und hinterließ vielfach Fehlstellen des eigenen
           Raum. Ihr Werk in Pursuit of Venus [infected]   Sammlungsstücken des MARKK ermöglichen. Ein-  kulturellen Erbes in den Gebieten, in denen unter
           bildet das Kernstück der Ausstellung „Im Schat-  zigartig und stilsicher in ihrer Formsprache, beste-  deutscher Kolonialverwaltung Kulturgüter in großem
           ten von Venus: Lisa Reihana & Kunst aus dem   chend in ihrer Ästhetik, sind auch diesen Objekten   Umfang entnommen worden waren.
           Pazifik", mit der das Museum am Rothenbaum   mehrere Bedeutungsebenen und Beziehungsge-  Die Objektauswahl reflektiert die Doppeldeutig-
           das Kunstschaffen in Ozeanien in den Fokus rückt.   schichten eingeschrieben: Die Beschäftigung der   keit des Titels Im Schatten von Venus. Sie berück-
           Erstmalig wird ihr digitales Panorama in Deutsch-  Künstler*innen mit Material und Formgebung, die   sichtigt einerseits exotisierende, bis heute fortleben-
           land gezeigt und tritt in den Dialog mit herausra-  Inspiration und der gesellschaftliche Kontext des   de Bilder der Südsee, in denen Frauen zu »Pasifika
           genden historischen Kunstwerken aus der Samm-                                  Venus« stilisiert und zur Projektionsfläche für sexu-
           lung des Hauses. Reihanas Werk setzt sich kritisch                             elle Begierden europäischer Betrachter*innen wur-
           mit der frühen Begegnungsgeschichte von Euro-                                  den. Auf der anderen Seite verweist der Titel auf Cooks
           päern und pazifischen Inselgesellschaften ausein-                              Beobachtung des Planetentransits der Venus im Jahr
           ander, die die spätere Kolonisierung und den                                   1769 und somit auf die Ambitionen europäischer
           damit einhergehenden Transfer von Kulturgütern                                 Forschungsreisender, Raum und Zeit zu vermessen
           nach Europa einleitete.                                                        und die Welt zu klassifizieren. Der Ambivalenz dieser
                                                                                          sich zwischen wissenschaftlichem Anspruch und
             Romantische Vorstellungen der »paradiesischen«                               romantisierender Verzerrung bewegenden Blicke
           Südsee-Inseln und der sie bewohnenden »edlen Wil-  Lisa Reihana, detail in Pursuit of Venus [infected],   spüren die ausgestellten Werke nach.
           den« werden zugleich evoziert und auf ungewöhnli-  2015–17, Ultra HD video, colour, 7.1 sound, 64 min.   Der Ausstellung kam die Expertise von Dr. Eme-
           che Weise gebrochen, indem Reihana eine im frühen   Image courtesy of the artist, Art projects NZ, and New   lihter Kihleng zugute, die als Curatorial Research
           19. Jahrhundert populäre französische Wandtapete   Zealand at Venice. With support of Creative New Ze-  Fellow im Rahmen von MARKK in Motion, gefördert
           als Kulisse für ihre Gegenerzählung aus pazifischer   aland and NZ at Venice Patrons and Partners.  von der Initiative für ethnologische Sammlungen der
           Perspektive wählt. Die Tapete war inspiriert von   Schaffensprozesses und nicht zuletzt die Übernahme   Kulturstiftung des Bundes, ein Jahr lang die Ozeani-
           Zeichnungen und Reiseberichten, die im Anschluss   und Aneignung der Objekte durch Europäer*innen.  en-Sammlung des MARKK erforscht. Gemeinsam
           an James Cooks Expeditionsreisen im späten 18.   Die Ozeanien-Sammlung des MARKK entstand   mit Dr. Jeanette Kokott, der Leiterin der Ozeanien-
           Jahrhundert zirkulierten, und schmückte die Salons   in Zusammenhang mit den Handelsnetzwerken der   Abteilung, kuratierte sie die Ausstellung und wählte
           der damaligen europäischen Eliten. Reihana involviert   Stadt. Seine frühesten Sammlungsanteile gehen zu-  assoziativ zu den Inhalten in Reihanas Panorama
           und entlarvt die europäischen Betrachter*innen, weil   rück auf das mit der Firma Joh. Ces. Godeffroy &   eine Reihe an Werken aus der Sammlung aus.
           gerade diese romantisierende Südsee-Ästhetik wei-  Sohn verbundene Museum Godeffroy. Nach der   Die Ausstellung wird gefördert von der Hubertus
           terhin eine besondere Anziehungskraft ausübt.  Wende zum 20. Jahrhundert finanzierten Hamburger   Wald Stiftung, der Behörde für Kultur und Medien
             Reihanas großformatige Arbeit gehörte 2017 zu   Kaufleute die größte koloniale Forschungsexpediti-  Hamburg und der neuseeländischen Regierung.
           den Höhepunkten der Biennale in Venedig und bindet   on Deutschlands in die pazifische Inselwelt, die von   Museum am Rothenbaum, Rothenbaumchaussee
           die Betrachter*innen ein in zeitlose Schleifen von   der Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung   64, 20148 Hamburg, Ausstellungseröffnung: Di 18.
           Begegnungen, in denen sich exemplarisch Fragen   getragen und vom damaligen Museumsdirektor Ge-  Februar 2020 | 19 Uhr, Laufzeit: 19. Februar – 26.
           von Selbstdarstellung, Macht, Geschichte und kul-  org Thilenius initiiert worden war. Der koloniale   Juni 2020.

                                        Dokumentarisches Theaterstück von Peter Lanzoni
                                       Die lange Reise des Herrn K.


             Nach einer wahren Geschichte. Ab 1941 ver-  fahren sollen und  so erklärten die Eltern diese   liche Gespräche des Autors mit dem Zeitzeugen,
           schleppten die deutsche Wehrmacht und die SS   Schande zum Familiengeheimnis. Deshalb habe   auf denen diese wahre Geschichte beruht. Wie
           Millionen von Menschen aus den überfallenen   auch sie geschwiegen.            viele andere Menschen mit einer ähnlichen Bio-
           Ländern in deutsche Arbeitslager und Zwangs-  Doch schon damals wussten alle im Dorf bei   grafie leidet Herr K. bis heute unter den trauma-
           arbeit.                                 Hamburg Bescheid - außer Herr K. Zwar habe es   tischen Folgen.
                                                   Gerüchte über seinen leiblichen Vater gegeben,   In diesem inklusiven Projekt haben die En-
             Schon während des Krieges gab es neben mas-  doch genaueres konnte oder wollte niemand wis-  semble-Mitglieder zum Teil Erfahrung mit psychi-
           siver sexueller Gewalt auch Beziehungen zwischen   sen.                        schen Krisen. Andere kommen aus Ländern, in
           deutschen Fräuleins und den Soldaten des Feindes   Mit dieser ersten Information startet Herr K.   denen Krieg und Gewalt herrscht(e) (Südafrika,
           oder den Zwangsarbeitern. Doch auch nach dem   seine Nachforschungen. Er will wissen, wer der   Chile, Syrien, …)
           Krieg gab es unterschiedliche Motivationen für   andere Teil in ihm ist.          Peter Lanzoni arbeitete nach seinem Studium
           solche Beziehungen. Häufig entstanden daraus   Seine Suche entwickelt sich zu einer „langen   14 Jahre als Schauspieler an freien und staatlichen
           Schwangerschaften.                      Reise“. Er spricht mit Nachbarn, mit Behörden   Bühnen. Später war er jahrelang als Theater- und
             Es ist die Geschichte von Herrn K., geboren   und Organisationen. Mit Geduld, Akribie und Be-  Sozialtherapeut in der Psychiatrie am UKE tätig.
           1946, und sie wäre ohne diese damaligen Ereig-  sessenheit findet er schließlich den Namen, Fotos   Daneben schrieb und inszenierte er Theaterstücke.
           nisse nicht möglich gewesen.            und die Geschichte seines leiblichen Vaters.   In dieser Zeit gründete er auch den Verein crazyar-
             Im Frühjahr 1996 traf Herr K. Seine drei Jahre   Darüber hinaus aber erzählt das dokumentari-  tists und realisierte mittlerweile über 25 inklusive
           ältere Schwester. Warum er sie damals fragte, weiß   sche Theaterstück vor allem von den zerstöreri-  Kunstprojekte. www.crazyartists.de
           er selbst nicht mehr zu erklären. Doch die schok-  schen Auswirkungen und psychischen Folgen, die
           kierende Antwort auf die Frage, ob sein Vater auch   dieses löchrige Familiengeheimnis auf Herrn K.   Uraufführung am Freitag, den 21.2. um 20 Uhr
           sein biologischer Erzeuger sei, lautete: Nein! Er   und die Beziehungen zwischen den Familienmit-  im Bürgerhaus Barmbek,Lorichstraße 28a
           sei „nur ihr Halbbruder “. Aber niemand habe von   gliedern bis in die Gegenwart hinterlassen hat.   Weitere Termine: www.hamburg.de/tickets/die-
           dem Fehltritt der Mutter mit einem Besatzer er-  Grundlage für dieses Vorhaben waren ausführ-  lange-reise-des-herrn-k
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