Page 28 - Alsterrundschau Juli 2017
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Seite 28 Gesundheit & Wohlbefinden Alster Rundschau
Chaos im Kopf, unkonzentriert, ständig getrieben
ADHS – auch Erwachsene sind betroffen
Lange wurde ADHS, die Aufmerksamkeitsde-
fizit/Hyperaktivitätsstörung, als Krankheitsbild
von Kindern und Jugendlichen eingestuft. Heute
weiß man, dass ADHS das tägliche Leben auch
vieler Erwachsener beeinflussen und andere psy-
chische Erkrankungen nach sich ziehen kann. In
Deutschland sind Schätzungen zufolge mehr als
zwei Millionen Erwachsene von ADHS betroffen,
oft mit gravierenden Folgen. Doch es gibt Hilfe.
Im Alltag sind sie unkonzentriert, bei der Arbeit
versinken sie im Chaos, vergessen Termine, reagieren
häufig überschießend emotional und unkontrolliert.
Soziale Kontakte sind entsprechend gefährdet, Part-
nerschaften zerbrechen. „Es geht nicht um ein bis-
schen Unruhe'“, so der ADHS Experte Dr. med. Lo-
thar Imhof aus Ahrensburg: „In der Praxis wird ADHS
bei Erwachsenen häufig überlagert durch weitere
psychische Leiden. Man schätzt bei 40% der Betrof-
fenen eine depressive Belastung, bei 20% eine Angst-
störung und bei etwa 35% ist es nur sehr schwer von
anderen ernsthaften Persönlichkeitsstörungen abzu-
grenzen“. Dass bis zu 80% der im Kindesalter Be-
troffenen auch als Erwachsene noch an der Erkran-
kung leiden, gilt in Fachkreisen heute als unbestritten.
Bei ihnen ist in bestimmten Hirnregionen der Boten-
stoff Dopamin nicht ausreichend vorhanden, was zu
Störungen bei der Weiterleitung von Nervenreizen
führt.
Therapiemöglichkeiten
Besonders hilfreich für ADHS-Patienten ist ein
strukturierter Alltag. Auch gezieltes Verhaltenstrai-
ning und psychologische Betreuung können Hilfe-
stellung leisten. Als eine weitere wichtige Säule bei
der ADHS-Behandlung gilt heute die medikamentö-
se Therapie. Seit mehreren Jahren steht mit Methyl-
phenidat (MPH) ein auch für erwachsene Patienten
zugelassener und entsprechend gut untersuchter
Wirkstoff zur Verfügung, der die gestörte Dopamin-
Regulation gezielt normalisieren kann. Dass die me-
dikamentöse Therapie einer rein psychotherapeuti-
schen Behandlung deutlich überlegen ist, zeigt eine
aktuelle, vom Bundesministerium für Bildung und
Forschung unterstützte, pharmaunabhängige Studie1
der Universitätsklinik Freiburg. Nach etwa drei Mo-
naten zeigte sich bei 75% der mit Methylphenidat
behandelten erwachsenen ADHS-Patienten eine so
deutliche Verbesserung des Gesamtzustandes, dass
auch Ärzte, die bisher einer medikamentösen Thera-
pie gegenüber eher kritisch eingestellt waren, heute
von deren Nutzen überzeugt sind. “Konsequent dia-
gnostiziert und entsprechend therapiert könnte das
Leiden vieler Betroffener nachhaltig gelindert wer-
den“, so das Fazit von Dr. Imhof. Sein Rat: Wer sich
in den beschriebenen Symptomen wiederfindet,
sollte sich bei einem Arzt seines Vertrauens auf even-
tuelles ADHS untersuchen zu lassen. Dieser Gang
könnte der Beginn eines völlig neuen Lebensgefühls
sein.
1) Philipsen Alexandra, et. al. Effects of Group Psychothe-
rapy, Individual Counseling, Methylphenidate, and Placebo
in the Treatment of Adult Attention-Deficit/Hyperactivity Dis-
order. A Randomized Clinical Trial. JAMA Psychiatry. 2015
Dec 1;72(12):1199-210. doi: 10.1001/jamapsychia-
try.2015.2146.