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Alster Rundschau BUCHTIPPS Seite 21
Liebesvolle Lesepause an der Alster
Blauer Himmel über der Alster. Segler nutzen die laue Brise. Sie macht auch Lust auf eine
Uferwanderung inklusive einer Pause am Bootssteg. Die Sonne kribbelt auf der Haut, der
Cappuccino wärmt den Bauch. Ein Buch dabei, das die Seele in Stimmung bringt. Es passt
zum Frühsommer, was Peter Jäger in der Novelle „Die Sehnsucht des Puppenspielers“
erzählt: Lilo hat sich in den Puppenspieler verliebt, der den Kindern an ihrem Arbeitsplatz
in der Kita die gruselig-spannende Geschichten von Gut und Böse vorspielt – in denen
schließlich das Gute siegt! Wunderbar, wie er das macht. Und in der Liebe fühlt sich Lilo
anschmiegsam in seinen Armen aufgehoben. Es liest sich gut, es steht eine Aufführung an
der Ostsee an – und Lilo wird dabei sein …
Plötzlich Wolken am Himmel über der Alster. Erste Tropfen fallen auf die Buchseiten.
Noch ein bisschen Aprilwetter im Juni, der Kalender hat sich ja etwas verdreht.
Und ebenso die frühlingshafte Romanze zwischen Lilo und Michael, der ihr gegenüber
18 Jahre mehr Lebenserfahrung hat. Lilos Kita-Kolleginnen haben dazu eine andere
Meinung als sie. Auch prallen Karriereplanung und Lebensträume aufeinander und in der
Familie sind ganz andere Dinge zu lösen. Ist in Liebe und Leben nicht immer irgendwie
Aprilwetter? Und findet das turbulenteste Kaspertheater nicht tatsächlich hinter den Ku-
lissen statt? Was wird nun aus des Puppenspielers Sehnsucht … Das Buch erzählt den Rest.
Peter Jäger: Die Sehnsucht des Puppenspielers, Kadera-Verlag, ISBN 978-3-948218-18-
8, 170 Seiten, 14 Euro
Eintauchen in Hamburgs Geschichte
Liebe Miriam Georg, in den zwei Bän- burg gehören zu den Schauplätzen: Leben kostete. Arme und Reiche lebten Der Hafen war der Motor der Wirt-
den Ihrer hanseatischen Familiensa- der Hamburger Michel, Jungfern- nicht nur in unterschiedlichen Realitä- schaft, das pulsierende Herz der Stadt,
ga, "Elbleuchten" und "Elbstürme", stieg, Alster und Hafen … Aber auch ten und nach unterschiedlichen gesell- das Tor zur Welt, er ist sehr alt, hat
erzählen Sie die faszinierende Liebes- Orte, die heute unbekannt sind, weil schaftlichen Regeln, sie lebten buch- eine unglaublich interessante Ge-
geschichte der reichen Reederstochter es sie gar nicht mehr gibt. Was haben stäblich in verschiedenen Städten. Der schichte. Damit bietet er ein vielseiti-
Lily und des Hafenarbeiters Jo. Was Sie über das Hamburg von früher Kontrast zwischen den Villen von ges und buntes Setting, über das man
interessierte Sie beim Schreiben be- herausgefunden? Elbchaussee und Bellevue und den ewig erzählen könnte. Hunderte un-
sonders an der Dynamik zwischen den Hamburg sah vor 130 Jahren tatsächlich Gängevierteln hätte größer gar nicht terschiedliche Berufsgruppen kamen
beiden Protagonisten? vollkommen anders aus, als wir es ken- sein können. (und kommen) hier zusammen. Er
Zunächst einmal wollte ich ein Buch nen. Dort wo heute die Elbphilharmo- 1886 ist Hamburg eine Stadt im Wan- steht bildhaft für den Wandel, die In-
schreiben, das die gängigen Genre- nie thront, stand damals der Kaiserspei- del, an der Schwelle zur Industriali- dustrialisierung, aber auch die Klas-
konventionen der Familiensaga ein cher A, den ich auch in meinen Büchern sierung. Der Fortschritt nimmt unauf- sengesellschaft, das Gefälle zwischen
bisschen umkehrt – hier gibt es nicht erwähne, die Mönckebergstraße wurde haltsam seinen Lauf, genau wie heute Arm und Reich – und die Unterschie-
die Tochter, die das Familiengeschäft erst geplant, über eine mögliche Unter- wurde auch damals unermüdlich ge- de zwischen Mann und Frau, denn der
übernehmen will, aber auch nicht den grundbahn gerade mal gemunkelt. Die baut, vergrößert und verändert. Lilys Hafen war und bleibt vorwiegend eine
wohlhabenden Gutsbesitzer, der sich Gängeviertel sind heute vollständig und Jos Welt ist im Untergang begrif- Männerdomäne. Zu Lilys und Jos Zei-
in das arme Bauernmädchen verliebt. abgerissen und man kann sich kaum fen, heute existieren von ihr nur noch ten bauten wohlhabende Reeder und
Lily und Jo leben in einer Stadt, aber mehr vorstellen, wie es damals aussah: Spuren. Werftbesitzer ihr Vermögen viel mehr
in vollkommen gegensätzlichen Rea- Sie galten als die schlimmsten Slums Ein besonderer Fokus liegt auf der als heute auf dem Rücken der Arbeiter
litäten, die eigentlich keinerlei sicht- Europas, waren der Schandfleck der Hafenarbeit in all ihren Facetten: aus auf. Die Alltagsrealitäten dieser Ar-
bare Überschneidungspunkte haben. Stadt, ja des Kontinents, wucherten der Sicht der reichen Reederfamilie beiter haben mich bei der Recherche
Die Kluft in der Gesellschaft war da- unkontrollierbar vor sich hin und waren Karsten. Aus der Sicht des Werftbesit- zum Roman besonders fasziniert, ich
mals in vielen Dingen noch wesentlich Brutstätten für Krankheiten und Seu- zers Oolkert – des Widersachers in konnte manchmal nicht glauben, unter
stärker ausgeprägt als heute, wir be- chen wie die Cholera-Epidemie, die Ihren Romanen. Und aus der Sicht der welchen Bedingungen sie lebten, was
kommen immerhin ein Bild oder einen 1892 in Hamburg ausbrach und viele Hafenarbeiter. Warum dieses Thema? sie geleistet haben, habe mit offenem
Eindruck davon, wie andere Menschen Mund gelesen, was von ihnen verlangt
leben. Damals aber war es noch mög- wurde und wie wenig sie dafür vergü-
lich, sich vollkommen abzuschirmen tet wurden. Mein Erstaunen darüber
– und genau das hat man mit den jun- spiegelt sich in Elbstürme wider, dem
gen Damen der Oberschicht getan. Ich zweiten Band meiner Hamburg-Saga,
fand es faszinierend, wie unglaublich in dem es vermehrt um den Arbeiter-
ahnungslos sie von der (meist sehr kampf geht.
düsteren) Lebensrealität der breiten
Masse waren. Sie wurden absichtlich Miriam Georgs zweibändige hansea-
von ihren Familien und später ihren tische Familiensaga ist unter den
Ehemännern von diesen Dingen fern- Titeln „Elbleuchten“ und „Elbstür-
gehalten, durften keinen Schritt – und me“ im Rowohlt Taschenbuch Verlag
ich meine wirklich keinen Schritt! – erschienen.
ohne eine Gouvernante tun. Die Alster Rundschau verlost je 3
"Elbleuchten" und "Elbstürme" spie- Bücher. Senden Sie mit dem Betreff
len in Hamburg zum Ausklang des 19. „Elbe“ eine E-Mail mit Ihrem Na-
Jahrhunderts. Sie beschreiben die men und Anschrift an: Gewinn-
Stadt Hamburg in einem umfassen- spiel@auc-hamburg.de. Einsende-
den, grundlegenden Wandel. Viele schluss ist der 15.5.2021. Der Rechts-
bekannte und beliebte Orte in Ham- weg ist ausgeschlossen.